Von Show-Events über Magazin-Sendungen bis hin zu Spielfilmen und Lizenz-Serien: Das untertitelte TV-Angebot bei ProSiebenSat.1 erstreckt sich über eine Vielzahl von Formaten, Sendern und Zielgruppen. Die Sendergruppe baut ihre Programmfläche für Menschen mit Hörbehinderung kontinuierlich qualitativ und quantitativ aus und ist Vorreiter beim barrierefreien Privatfernsehen.
Februar 2018. Vanessa steht vor einem großen Green-Screen, blättert nervös durch das Sendungsskript von „taff“. Vor ihr Kabel, Scheinwerfer, Kameras. Ein letzter Technik-Check, der Aufnahmeleiter winkt ihr zu – dann ist schon der taff-Jingle zu hören. Und es geht los: Das Moderatoren-Duo Rebecca Mir und Daniel Aminati begrüßt die Zuschauer. Vanessa, die alles über einen Bildschirm verfolgt, tut es ihnen gleich. Nur sie heißt das taff-Publikum ganz ohne Worte willkommen: Die 17-Jährige übersetzt die komplette Sendung in Gebärdensprache. In einem Facebook-Livestream parallel zur TV-Ausstrahlung.
Vanessa Feller-Jung ist eine CODA (Children of deaf adults). Das heißt: Die Schülerin aus Rheinland-Pfalz ist hörend, hat taube Eltern und ist mit der Gebärdensprache als Muttersprache aufgewachsen. Nur mit ihren Händen, ihrer Mimik und Gestik zu kommunizieren – das fasziniert Vanessa seit jeher: „In der Gebärdensprache kann ich mich oft sogar viel besser ausdrücken als in der Lautsprache, weil man beim Gebärden ehrliche Emotionen braucht.“ Als erstes von zwei Kindern lernt Vanessa schon früh, Verantwortung für ihre gehörlosen Eltern zu übernehmen, übersetzt bei Elternabenden oder begleitet sie bei Behördengängen. „Trotz all der Herausforderungen bin ich dankbar, dass ich mit der Gebärdensprache aufwachsen durfte, denn sie ‚hört‘ sich unglaublich schön an“, schwärmt Vanessa.
» Wir unterstützen die Forderung nach mehr Barrierefreiheit auch für Schwerhörige und Gehörlose. «
Werner Danner Redaktionsleiter von „taff“
Doch eine immer wiederkehrende Frage ihres Vaters ließ ihr lange keine Ruhe: Auf „Was ist Musik?“ konnte sie ihm keine zufriedenstellende Antwort geben. Bis sie im Jahre 2015 begann, Lieder in Gebärdensprache zu übersetzen. Ermutigt durch das positive Feedback von Familie und Freunden, veröffentlichte Vanessa das Video davon auf Social Media. Es folgten weitere – und Vanessas Fan-Base wuchs: Über 4.000 Follower hat ihre Facebook-Seite „Vanessas Gebärdenlieder“ inzwischen. Übers Netz wurde auch der Schweizer Rapper SIGA auf Vanessa aufmerksam und lud sie ein, ein Video zu seinem Song „Du“ mit ihm aufzunehmen: SIGA rappt, Vanessa übersetzt den Text parallel in Gebärdensprache. Die Single ging viral – und Vanessa und SIGA machten immer weiter: Seit nunmehr drei Jahren arbeiten die Schülerin und der Rapper jetzt schon zusammen. Erst kürzlich ist ihr neuster gemeinsamer Song „Meine Nr. 1“ erschienen.
» Gehörlose haben ein Recht darauf, all die Dinge zu tun, die Menschen ohne Handicap auch tun: Musik hören und Fernsehen schauen stehen nur stellvertretend für alle anderen Bereiche des täglichen Lebens. «
Vanessa Feller-Jung
Die beiden wollen mit ihrem Projekt nicht nur gehörlose Menschen an Musik teilhaben lassen: Vanessa und SIGA haben das Ziel, „die Barriere in den Köpfen der Menschen zu überwinden“, wie Vanessa es nennt. Um gegen Berührungsängste und Vorurteile zu kämpfen und ihr Projekt noch bekannter zu machen, nahmen Vanessa und SIGA Kontakt mit der „taff“-Redaktion auf. Schnell entstand die Idee, Vanessa könnte eine Ausgabe des Magazins live auf Facebook in Gebärdensprache übersetzen. „Jeden Tag sehen tausende junge Zuschauer ‚taff‘. Mit der Live-Übersetzung dieser Ausgabe in Gebärdensprache unterstützen wir die Forderung nach mehr Barrierefreiheit auch für Schwerhörige und Gehörlose“, erklärt Werner Danner, Redaktionsleiter von „taff“.
Um Menschen mit Hörbeeinträchtigung das Fernsehen zu erleichtern, ist neben dem Simultandolmetschen auch der Einsatz von Untertiteln möglich. Auf diesem Gebiet ist ProSiebenSat.1 bereits seit 2000 aktiv. Lotte Sorge, Manager Content Acquisitions Dubbing & Material, macht sich seit sechs Jahren als Hauptverantwortliche für das barrierefreie Angebot der Sendergruppe stark: „Wir haben damals angefangen, den sonntäglichen Blockbuster auf ProSieben, die SAT.1-Movies am Dienstag und einige Lizenz-Serien zu untertiteln - danach haben wir unser Angebot kontinuierlich und konsequent ausgebaut.“ 2012 folgte die Forderung der Landesmedienanstalten, zur Erfüllung des öffentlichen Auftrags als private Sendergruppe täglich mindestens ein untertiteltes Format in der Prime Time anzubieten. „An diesem Punkt haben wir uns bewusst neu aufgestellt und Arbeitsabläufe sowie Planungsprozesse umstrukturiert“, erinnert sich Lotte. Und das mit Erfolg: Seit 2013 übertrifft ProSiebenSat.1 die allgemeinen Anforderungen zum barrierefreien Angebot sogar. Zuletzt konnten Lotte und ihr Team den Anteil an untertitelten Sendestunden im Jahr 2017 um weitere fast 2.000 Programmstunden erhöhen.
„Das Thema ist mir im Laufe der Jahre unglaublich ans Herz gewachsen“, erklärt Lotte. Bis heute erinnert sie sich besonders gerne an ein Treffen mit Vertretern des Deutschen Gehörlosen-Bundes im Jahr 2013: „Dort habe ich zum ersten Mal Menschen mit einer Hörbehinderung persönlich kennengelernt. Zu erfahren, wie sehr sie sich Zugang zu den Themen wünschen, die für Menschen ohne Behinderung ganz normal sind – das hat dem, was ich tagtäglich tue, eine ganz neue Bedeutung gegeben“, erinnert sich Lotte.
» Die Untertitelung von #GNTM war eine enorme Herausforderung, die uns dazu motiviert hat, unsere Expertise ständig weiterzuentwickeln. «
Lotte Sorge Manager Content Acquisitions Dubbing & Material
Ein großer Wunsch, den die Gehörlosen-Community 2013 an Lotte herantrug: die Untertitelung der ProSieben-Erfolgsshow „Germany’s next Topmodel – by Heidi Klum“ (#GNTM). „Das kurzfristige, oft sogar tagesaktuelle Untertiteln der Folgen sowie natürlich des großen Live-Finales – das war anfangs eine enorme Herausforderung, die uns aber auch dazu motiviert hat, unsere Expertise ständig weiterzuentwickeln. Und mittlerweile sind wir bei der Untertitelung von Live-Shows total routiniert“, erzählt Lotte. Nach der ersten untertitelten Staffel von #GNTM im Jahr 2015, erhielten sie und ihr Team sogar Dankesbriefe glücklicher Zuschauerinnen: „Ich bewahre die Briefe immer noch zuhause auf. Sie haben mich sehr berührt.“
Mit ProSieben, SAT.1, kabel eins, sixx und ProSieben MAXX bietet ProSiebenSat.1 untertitelte Formate auf fünf Free-TV-Sendern an. Die dafür bereitgestellten finanziellen Mittel setzt die Gruppe vor allem zur Untertitelung reichweitenstarker Sender und Programmangebote ein. Das Ziel dabei ist es, das barrierefreie Angebot um immer neue Programmfarben zu erweitern. Besonderer Fokus liegt daher neben Lizenz-Serien und Spielfilmen auch auf lokalen, selbstproduzierten Inhalten: Neue Highlights im barrierefreien Programm sind unter anderem die maxdome- und ProSieben-Serie „jerks.“ (seit 2018), das ProSieben-Wissensmagazin „Galileo am Sonntag“ (seit 2018), die neue Staffel des Reality-Spektakels „Promi Big Brother“ in SAT.1 (ab 2018), die ProSieben-Shows „Get the fuck out of my house“ (2018) und „Das Ding des Jahres“ (2018) sowie das ProSieben-Doku-Format „Uncovered“ (seit 2016). Im September 2017 fand auf ProSieben außerdem erstmals der „Tag der Gehörlosen“ statt: Für einen Tag wurden nicht nur ausgewählte Formate, sondern das komplette Programm in barrierefreier Form angeboten. Für den 30. September 2018 ist eine Wiederholung geplant.
Wie funktioniert die Untertitelung von Fernsehformaten?
Menschen mit einer Hörbehinderung können das Fernsehprogramm barrierefrei mitverfolgen, indem im unteren Teil des Bildschirmes Textzeilen eingeblendet werden. Sie beschreiben neben den sprachlichen Inhalten auch Umgebungsgeräusche und Klangerlebnisse wie beispielsweise eine knarrende Tür oder Applaus. Die Untertitel kommen zum größten Teil von externen Zulieferern. Bei eigenproduzierten Live-Formaten wie „Germany’s next Topmodel – by Heidi Klum“ oder „The Voice of Germany“ wird das Sendungsgeschehen zeitgleich von ausgebildeten Synchrondolmetschern übersetzt, die das Gehörte einer Spracherkennungssoftware diktieren. Der daraus entstehende Text wird dann direkt ins Fernsehsignal eingespeist und ist in Untertitel-Form über den Teletext (Seite 149) oder digital abrufbar.
Auch das Erfolgsformat „The Voice of Germany“ läuft seit 2017 mit Untertiteln. Es mag naheliegen, zu fragen, welchen Wert die Untertitelung einer Musikshow für Gehörlose überhaupt haben kann. „Dieser Gedanke ist viel zu kurz gegriffen“, erläutert Lotte – denn neben der bloßen Handlung könne auch die Stimmung im Studio wiedergegeben werden: „Wir untertiteln nicht nur die Songs und Dialoge: Wir beschreiben auch die Geräusche wie beispielsweise den Applaus oder Jubelrufe – und Juror Samu Haber behält sogar seinen Akzent“, sagt Lotte und lacht.
Auch Vanessa weiß, dass Musik viel mehr ist als die bloße Wiedergabe einer Melodie: „Gehörlose Menschen können die mit Musik transportieren Gefühle genauso spüren wie alle anderen auch – und sie haben ein Recht darauf, all die Dinge zu tun, die auch Menschen ohne Handicap tun: Musik hören und Fernsehen schauen stehen nur stellvertretend für alle anderen Bereiche des täglichen Lebens.“ Der 17-Jährigen ist es gelungen, nicht nur ihrem gehörlosen Vater die Bedeutung von Musik näherzubringen, sondern auch vielen anderen hörbehinderten Menschen in Deutschland. „Danke, dass Ihr uns unsere Ohren zurückgebt“, schrieb einst ein Fan. Für Vanessa ist das Lob und Motivation zugleich. Und so kämpft sie weiter für mehr gesellschaftliche Akzeptanz und bessere Inklusion von Gehörlosen. Denn sie weiß: Es gibt immer einen Weg, sich zu verständigen.
Neben der Untertitelung von Formaten – Wie trägt ProSiebenSat.1 außerdem zur Inklusion von Menschen mit Behinderung bei?
ProSiebenSat.1 greift regelmäßig Themen aus der Lebenswelt von Menschen mit Behinderung in non-fiktionalen und fiktionalen Formaten auf und fördert damit die gesellschaftliche Inklusion. Die Sendungen tragen zur Aufklärung sowie dem gegenseitigen Verständnis bei und bilden die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderung ab. Beispiele sind unter anderem die SAT.1-Docutainment-Reihe „Projekt Superhund – Helfer auf vier Pfoten“, eine Themenwoche des Magazins „taff“ auf ProSieben zum Thema Tourette-Syndrom, regelmäßige Themen des Wissensmagazins „Galileo“ aus dem Leben und der Lebenswelt behinderter Menschen oder die monatliche Reportage „Challenge“ in SAT.1 Gold und bei kabel eins, die von der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien e.V. von Menschen mit Behinderung produziert und gestaltet wird.